Borderline Persönichkeitsstörung
Pharmakologische Behandlungen bei der BPS orientieren sich vorrangig an den einzelnen Symptomen, die für Beschwerden sorgen. Dabei gibt es eine relativ große Bandbreite an Mitteln, die zur Verfügung stehen, wobei Antidepressiva am häufigsten eingesetzt werden.
BPS-Patienten mit scheinbar gleichen oder ähnlichen Beschwerden reagieren sehr unterschiedlich auf die einzelnen Medikamente. Eine weitere Auffälligkeit bei der BPS-Medikation ist die hohe Rate an Placebo-Respondern, weswegen man Studien inzwischen immer placebokontrolliert durchführt.
In randomisierten kontrollierten Studien konnte die Wirksamkeit von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bei BPS-Patienten nachgewiesen werden. Die Medikamente zeigten positive Wirkungen insbesondere gegen depressive Symptome, darüber hinaus auch gegen Angstgefühle, Selbstverletzungsdrang und aggressive Impulse.
Gegen verschiedene Symptome wie psychotisches Denken, impulsives Verhalten und suizidale Tendenzen werden bei BPS gelegentlich Neuroleptika (resp. Antipsychotika) eingesetzt, bevorzugt im stationären (klinischen) Betrieb. Diese Medikamente haben in diversen Studien eine gewisse Wirksamkeit gezeigt.
Trotzdem sind Neuroleptika aufgrund ihrer Nebenwirkungen und möglichen schweren Langzeitschäden sehr umstritten. Unter anderem stehen diese Mittel in Verdacht, dass sie bei Patienten mit komorbider AD(H)S (das sind über 50 % der BPS-Patienten) das Dopaminsystemd dauerhaft schädigen können (Akathisie, Spätdyskinesie), speziell bei höherer Dosierung und bei längerfristiger Verabreichung. Ein weiteres Problem für die (meist weiblichen) Patienten sind die massiven Gewichtszunahmen durch einige Medikamente aus dieser Gruppe. Diese Folgen können später traumatische Horrorszenarien verursachen und das Krankheitsbild verschlimmern, insbesondere bei schwer betroffenen BPS-Patienten.
In der Vergangenheit war sehr umstritten, ob und wie weit man BPS erfolgreich therapieren kann, weil die meisten Psychotherapiestudien kaum überzeugende Erfolge aufzeigten (Dammann, Clarkin, Kächele 2001). Speziell für Zeiträume von über fünf Jahren hatten Therapien kaum Wirkung. Allerdings sind diese Befunde nur schemenhaft und zudem veraltet. Im Laufe der Zeit wurden Therapien entwickelt, die wesentlich besser auf die BPS abgestimmt sind und die daher weitaus bessere Ergebnisse erreichen, speziell ab den 90er Jahren.
Wahrlich berüchtigt ist, dass BPS-Patienten eine sehr hohe Rate an Therapieabbrüchen an den Tag legen (30 bis über 70 %), daneben oft mangelnde Kooperationsbereitschaft bei den Therapieinhalten („Non-Compliance“). Deshalb strebt man an, Therapieabbrüche zu vermeiden und außerdem, eine gute Ausgangssituation zu schaffen.
Allen verschiedenen BPS-Therapieformen ist gemeinsam, dass der therapeutischen Beziehung, also dem Verhältnis von Patient und Therapeut, am meisten Bedeutung beigemessen wird (Makowski, Pachnicke 2001). Nur wenn diese Konstellation harmoniert, kann eine Therapie funktionieren.
Eine große Rolle spielt dabei die intensive Gegenübertragung, die für Borderline-Patienten typisch ist. Gegenübertragung sind die Gefühle, welche der Patient im Therapeuten auslöst. Anhand dieser Gefühle kann der Therapeut wichtige Informationen über den Patienten gewinnen und dadurch die optimale Vorgehensweise entwickeln.
Ein weiteres Prinzip, welches sich zunehmend in allen Schulen einfindet ist, dass eine mögliche Aktivierung von traumatischem Stress auf jeden Fall vermieden werden muss, weil sonst ein enormes Schadenspotential besteht.
Die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) ist eine kognitive Verhaltenstherapie und orientiert sich am neurobehavioralen Entstehungsmodell (siehe Abschnitt Entstehungsmodelle).
Ziel ist es, den Patienten in verschiedenen Bereichen zu stärken. Dabei sollen die Vorteile von bestimmten Verhaltensstrategien herausgearbeitet werden, ohne die bisherigen Lösungsversuche für ungültig zu erklären.Dialektik im Sinne der DBT zielt darauf ab, scheinbare Gegensätze in der Welt des Patienten aufzulösen und sie schrittweise zu integrieren.
Für die DBT konnten gute Erfolge bei der Borderline-Therapie nachgewiesen werden (Dammann, Clarkin, Kächele 2001).
In psychoanalytischen Kreisen gibt es eine große Auseinandersetzung darüber, ob für die BPS eher supportative oder konfrontative (resp. expressive) Methoden geeignet sind. Supportative Methoden beruhen auf einem eher empathischen, weniger technisch-neutralem Arbeiten. Konfrontative Vorgehensweisen setzen sich direkt mit den Konflikten und Impulsen der Patienten auseinander und folgen fest vorgegebenen Behandlungsanleitungen.
Nach Studien von Hoglend (1996) und Anderen können speziell ungeeignete konfrontative Vorgehensweisen bei schwer betroffenen Patienten große Schäden anrichten (Hoglend spricht dabei von „toxischer Wirkung“). Trotzdem kommen heute vorwiegend konfrontative Techniken zum Einsatz, wie z. B. in der Transference-Focused-PsychotherapyTransference-Focused-Psychotherapy (TFP, deutsch Übertragungs-fokussierte Psychotherapie) ist eine spezielle Form der psychodynamischen (d. h. auf der Psychoanalyse basierenden) Psychotherapie, die vorwiegend bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen angewandt wird. Sie wurde 1998 in Form eines Manuals von John F. Clarkin, Frank E. Yeomans und Otto F. Kernberg beschrieben. Der Fokus der therapeutischen Arbeit liegt in der TFP auf der Durcharbeitung der Übertragungsbeziehung zwischen Patient und Psychotherapeut. (TFP). Diese Therapie gilt als sehr ausgereift und ihr wurden durch Perry (1999) sowie durch Leichsenring und Leibing (2003) gute Behandlungserfolge bestätigt.
Weil Borderline-Patienten oft schwer traumatisch geschädigt sind, wird die BPS zunehmend in speziellen Traumatherapien behandelt. Hier folgt man dem Prinzip des Eisberges (Herman 1992). Danach bildet die BPS-Symptomatik die sichtbare Oberfläche, wogegen die gewichtigen Faktoren verborgen liegen.
Als grundlegend erachtet man natürlich auch hier, dass keine Retraumatisierungen erfolgen dürfen, die sich – am Modell des Eisberges betrachtet – durch die große Masse unter der sichtbaren Oberfläche ergeben können. Daher ist das vorrangige Behandlungsziel die so genannte Stabilisierung, die aber nicht in allen Fällen erreicht werden kann. Verläuft die Stabilisierung erfolgreich, können Methoden wie EMDR durchgeführt werden, um das so genannte Traumamaterial gezielt zu bearbeiten. Ein ganzheitliches Therapiekonzept bietet außerdem die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT).
Die mentalisierungsgestützte Psychotherapie (Mentalization Based Treatment; kurz: MBT) ist eine psychoanalytische Behandlungsmethode, die von Peter Fonagy und Anthony W. Bateman entwickelt wurde. Sie basiert auf dem Konzept der Mentalisierung. Ziel ist es, den Patienten dabei zu unterstützen, seine Mentalisierungsfähigkeit zu verbessern. Dazu ist es notwendig, dass der Behandler sich der emotionalen Zustände des Patienten stets bewusst ist, um zu einem besseren Verständnis seines aktuellen seelischen Zustandes zu gelangen. In Gruppen- wie in Einzelbehandlungen soll durch Gespräche und spezielle Gesprächstechniken ein besseres Verständnis für die mentalen Grundlagen des Handelns geschaffen sowie eine reflexive Erfassung der eigenen Persönlichkeit ermöglicht werden. Das mentalisierungsgestützte Behandlungskonzept zeigte gute Effekte sowie eine sehr niedrige Abbruchquote.
Ein Mittel der psychotherapeutischen Intervention bei Borderline-Patienten ist eine Form der sogenannten Kognitiven Umstrukturierung. Diese ist ein zentrales Element der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei handelt es sich um therapeutische Veränderungsprozesse im Denken des Patienten, insbesondere werden die kognitiven Attributionen untersucht und gegebenenfalls bearbeitet. „Attributionen“ sind Eigenschaften oder Merkmale, die man auf Menschen oder Dinge projiziert, also etwas höchst Individuelles. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet, ganz grob übersetzt, „Zuschreibungen“. Er bezieht sich in vielen Bereichen der Psychologie sowohl auf einen Zusammenhang von zwei Entitäten als auch auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Erleben und Verhalten des Menschen.
Borderline Patienten neigen dazu, ihre schwankenden Emotionen direkt und ohne innere Kontroll-Instanzen auf andere Menschen zu projizieren beziehungsweise zu attribuieren. So wird die instabile innere Gefühlsrealität des Patienten zur scheinbaren äußeren Realität. Es fehlt hier ein funktional intakter Abstand von Subjektivität und Objektivität. Das Entscheidende ist: die meisten sozialen Probleme von Borderline-Patienten haben ihre Ursache in einer Fehlattribution von pathologisch gefärbten, instabilen Emotionen auf einen anderen Menschen. Dies geschieht in aller Regel völlig ungewollt, ungesteuert und unkontrolliert. Lernt nun aber der Borderline Patient im Rahmen einer intensiven kognitiven Umstrukturierung, seine Gefühle zunächst als etwas Eigenes zu erleben und nicht unreflektiert auf die Außenwelt zu beziehen, so kann er sich im Idealfall aus dem Teufelskreis seiner sozialen Konflikte ein Stück weit befreien. Kognitive Umstrukturierung ist kein eigenständiges Therapieverfahren, sondern Element vieler kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierter Therapien.
Eine unterstützende Rolle kommt der Psychoedukation zu. Damit bezeichnet man die Schulung von Menschen, die an einer psychischen Störung leiden sowie die Einbindung ihrer Angehörigen. Häufige Einsatzgebiete sind Schulungen von Patienten mit einer BPS. Ziel ist, dass die Betroffene und ihre Angehörigen die Krankheit besser verstehen und mit ihr umgehen können. Zum Beispiel werden persönliche Erfahrungen bezüglich der Erkrankung mit dem gegenwärtigen Wissen über das Störungsbild verbunden, sodass allen Beteiligten der aktuelle Stand des klinischen Wissens zugänglich ist. Auch sollen sie eigene Möglichkeiten wahrnehmen, um mögliche Rückfälle zu vermeiden und selbst zur eigenen Stabilität beizutragen.
Die Aufklärung der Patienten über die Entstehungs- und Aufrechterhaltungsbedingungen der Störung bildet in der Verhaltenstherapie die Grundlage für anschließende Behandlungsschritte. Da es den Patienten und Angehörigen oft schwerfällt die Diagnose „Borderline“ zu akzeptieren, hat die Psychoedukation auch die Funktion, zur Entstigmatisierung psychischer Störungen beizutragen und Barrieren zum Aufsuchen einer Behandlung abzubauen. Ihren methodischen Ursprung hat Psychoedukation in der Verhaltenstherapie, in der das Wiedererlernen der eigenen emotionalen und sozialen Kompetenz im Vordergrund steht. Psychoedukation ist keine eigene Psychotherapie, sondern ein Element, das in verschiedenen Therapien angewendet wird.
Persönlichkeitsstörungen stellen sich in der Interaktion dar und greifen in die Familiendynamik. Innere Konflikte eines Patienten können stark mit den familiären Prozessen wechselwirken (Cierpka, Reich 2001). In bestimmten Fällen werden die Herkunftsfamilie und/oder die aktuelle Kernfamilie des Patienten einbezogen. Darüber hinaus kann auch eine begleitende Familientherapie die Einzeltherapie unterstützen, gleiches gilt für Paartherapien.
Für die Familien des Betroffenen, insbesondere für die Herkunftsfamilien, kann die Diagnose BPS bei einem ihrer Angehörigen (bzw. bei ihrem Kind) sehr besorgniserregend und belastend sein (Ruiz-Sancho, Gunderson 2001). Das wichtigste Ziel, wenn Angehörige oder Partner einbezogen werden, ist die dysfunktionellen Interaktionsmuster herauszufinden und sie durch bessere zu ersetzen.
Über den Langzeitverlauf und die Folgen der BPS konnte bisher nur wenig in Erfahrung gebracht werden. Als möglicher Grund dafür wird angegeben, dass die aktuelle Klassifikation der BPS erst 1980 definiert wurde. Ein besonderes Problem stellen außerdem die häufigen und verschiedenen Komorbiditäten dar, welche die Verläufe erheblich beeinträchtigen und in der Regel negativ beeinflussen.
Bisher ist nur eine einzige große Langzeituntersuchung durchgeführt worden. Dabei wurden Patienten, die zwischen 1950 und 1975 aus dem amerikanischen Sanatorium Chestnut Lodge entlassen wurden, anhand umfangreicher Aufzeichnungen und anhand der DSM-III-Kriterien von 1980 eingeordnet (McGlashan 2001). Besondere Beachtung fanden dabei weitere Diagnosen wie Schizophrenie, bipolare Depression und Major Depression. Besonders auffällig waren dabei die unterschiedlichen Verläufe männlicher und weiblicher Patienten.
Weibliche BPS-Patientinnen zeigten im mittelfristigen Verlauf (zweite Dekade) eine geringere Symptomatik, dabei aber wesentlich stärkere kurzfristige Durchbrüche. Langfristig (> 20 Jahre) war der Zustand schlechter als bei Beginn der Aufzeichnungen. Das stand oft in Verbindung mit dem Verlust von Angehörigen.
Die männlichen Patienten unterschieden sich in zwei Dingen von den weiblichen: erstens verweigerten sie (in der Regel gegen ärztlichen Rat) weitere Behandlungen, und zweitens war ihr langfristiger Verlauf erstaunlich gut. Insbesondere betraf das berufliche Karriere, Beziehungen, Ehe und gesellschaftliche Aktivität, darüber hinaus entwickelten sie individuelle Unterstützungssysteme für sich.
Allerdings sind diese Ergebnisse – genau wie die Studie insgesamt – nicht allgemeingültig. Als verzerrende Faktoren werden angegeben, dass die BPS bei den männlichen Patienten zwar gleich schwer waren, aber vermutlich nur bestimmte Typen männlicher Patienten in die Studie aufgenommen wurden, weil männliche Betroffene z. B. eher im Gefängnis, aber seltener in Kliniken landen. Außerdem war die damalige gesellschaftliche Situation der Frauen genau in solchen Punkten erschwert, die sich auf die Kernproblematik der BPS auswirken, wie z. B. gesellschaftlicher Zwang zur Heirat und eine untergeordnete Rolle in Beziehungen. Des Weiteren ist das Prädikat „gut“ bei den männlichen Patienten relativ zu sehen, denn es bezieht sich nur ganz oberflächlich auf die Situation und auf die äußerliche Symptomatik.
Als besondere Faktoren, die stark mit negativen Verläufen korrelierten, wurden herausgestellt: Weibliches Geschlecht, (inkonsequent behandelte) Sucht, magische Denkweisen, schlechtere Aggressionskontrolle, geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit, längere Klinikaufenthalte, mehr und/oder schwerere Komorbiditäten, problematischere familiäre Situationen und nach Michael H. Stone Armut und körperliche Krankheiten. Nach Stone sind entscheidende positive Faktoren: Hohes Maß an Selbstdisziplin, künstlerisches Talent und bei weiblichen Patienten hohe Attraktivität.
Die Forschung rund um die Borderline-Persönlichkeitsstörung hat eine relativ lange und komplexe Geschichte. Die Begriffsgeschichte geht zurück bis ins Jahr 1884. Damals sprach der englische Psychiater C. H. Hughes von einem „Borderland“ bei den psychischen Krankheiten. Dieser Begriff wurde kurze Zeit später als „Borderline“ übernommen. Damit beschrieb man Patienten mit verschiedenen Symptombildern, die sich weder fest dem neurotischen noch dem psychotischen Spektrum zuordnen ließen. Aber erst Adolf Stern manifestierte den Begriff ab 1939 in der Fachwelt.
In der Forschungsgeschichte gab es vier Hauptströmungen, die in verschiedenen Zeiträumen entstanden sind und die in Teilen auch parallel zueinander liefen. Die älteste betrachtete Borderline als eine subschizophrene Störung, das heißt als eine Art verkappte Schizophrenie. Eine andere versuchte Borderline als subaffektive Störung zu fassen, die in etwa mit manisch-depressiven Erkrankungen vergleichbar wäre. Später wurde sie zunehmend als Impulskontrollstörung eingestuft, und die jüngste Bewegung sieht Borderline als Posttraumatische Belastungsstörung.
Im Laufe der Zeit hat man die Konzepte zum Begriff Borderline und zu ähnlichen Symptomatiken mehrmals vermischt, getrennt und umgeordnet. Was früher als das typische „Borderline“ galt, nämlich stark psychotisch gefärbte Merkmale, hat man 1980 im DSM III vom Borderline-Konzept getrennt und daraus die Schizotypische Persönlichkeitsstörung definiert. Zugleich etablierte man das heutige Konzept der Borderline-Persönlichkeitsstörung, wie es grob auch im DSM IV noch besteht (Stand 2007).
„Borderline“ gehört inzwischen zu den gängigen Modebegriffen und Schlagworten. Trotzdem ist in der Gesellschaft nur wenig über die BPS bekannt, dafür existieren umso mehr Klischees. In der Fachwelt weiß man zwar erheblich mehr, doch über verschiedene Fragen ist man sich noch nicht einig. Die vier genannten Strömungen sind insofern wichtig, als dass sie immer noch bestehen.
Quelle: wikipedia.org
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